Der Lötschbergtunnel-Durchschlag

Am 31. März 1911 berichtete "Der Bund" (Eidgenössisches Zentralblatt und Berner Zeitung) in seinem Abendblatt:

Headline "Der Bund" 31.03.1911: "Der Lötschberg durchschlagen"

101 Kanonenschüsse verkündeten um 7 Uhr morgens der Bundes- und Kantonshauptstadt das große Ereignis des Durchstichs, das die Krönung der bernischen Eisenbahnpolitik bedeutet. Ein Tag freudiger, stolzer Genugtuung. Hie Bern, hie Eidgenossenschaft!

Heute, Freitag morgens um 3 Uhr 50 erfolgte der Durchschlag. Durch die letzte Sprengung hatte sich in der Brustwand ein Loch von 30 zu 40 cm gebildet. Die Richtung der beiden Stollen war sehr gut.

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D i e   e r s t e n   N a c h r i c h t e n. – F r e u d i g e   E r r e g u n g.

µ. K a n d e r s t e g, 31 März. 5 Uhr. (Eig. Drahtber.) Es ist noch nicht ganz klar, ob der Durchschlag um 3 Uhr 50 infolge einer außer der Zeit vorgenommenen Sprengung oder durch Ausweitung der Bohrlöcher von Hand erzielt wurde. Aus dem Tunnel sind nähere Nachrichten noch nicht erhältlich. Die Ingenieure werden voraussichtlich erst mit der nach 6 Uhr aus dem Tunnel heimfahrenden Schicht kommen. Während der letzten Stunden vor dem Durchschlag herrschte eine wahrhaft elektrische Spannung und die Nachricht vom gelungenen Durchschlag löste diese Spannung in einen förmlichen Freudentaumel aus. Ein Werk ist glücklich ausgeführt, das als ein neuer Triumph menschlicher Intelligenz und menschlicher Tatkraft zu bezeichnen ist. Die schweizerische Ingenieurkunst feiert heute einen Ehrentag. Ihr Erfolg ist um so höher anzuschlagen, als bekanntlich der Tunnel infolge der Abänderung des Tracee und der Umgehung des vorderen Gasterntales nicht weniger als drei Kurven macht. ...

... Die vielen Versager sind wahrscheinlich auf Fehlzündungen zurückzuführen, infolge der großen Aufregung der Mineure.


D i e   R ü c k k e h r   d e r   D u r c h s c h l a g s s c h i c h t.

µ. K a n d e r s t e g, 31 März. 7 Uhr 30. (Eig. Drahtber.) Die erste Schicht, um 5 Uhr 40 abgefahren, hatte die Lokomotive mit zwei Tannenbäumchen geschmückt. Zusammen mit den Amorceschüssen um 4 Uhr 30 pfiffen auch sämtliche auf dem Instalationsplatz unter Druck stehende Lokomotiven bis 5 Uhr 30. Einige Mitglieder der Tunnelkapelle hatten sich um 5 Uhr 30 eingefunden, doch lies man sie nicht spielen, weil sie nicht vollzählig waren und um die Abfahrt des Zuges nicht zu verzögern. Sofort nach Abfahrt wurde mit dem Abreißen der Ventilationszwischenmauer begonnen und die neue Ventilation, Luftdurchzug mit Trieb in Kandersteg und Saugmaschinen in Goppenstein in Anwendung gesetzt. Die abfahrenden Arbeiter machten sich am meisten darüber lustig, daß an der Tafel, die am Tunneleingang täglich den verbleibenden Rest der noch zu durchbohrenden Strecke anzeigte, eine große Null prangte. Zur Erwartung der heimfahrenden Schicht hatten sich am Tunneleingang einige Duzend Arbeiter und Angestellt der Unternehmung und die hier anwesenden Journalisten, etwa zehn, eingefunden. ...

... Die sofort vorgenommenen Messungen ergaben eine vorläufige Seitenabweichung von 32 cm, eine Höhendifferenz von 10 cm und in der Länge von Eingang zu Eingang eine solche von 50 cm. ...

... Für die mechanische Bohrung wurden an der Nordseite Bohrmaschinen der Meyerschen Maschinenfabrik in Müllheim a. d. Ruhr, auf der Südseite Ingersollbohrmaschinen verwendet. Der Tunnel wurde trotz der Verzögerung infolge des Unglücks innerhalb der vorgeschriebenen Zeit fertiggestellt; die verlorene Zeit wurde mehr als eingeholt und heute hat die Nordseite die Südseite um rund 170 m überholt. ...

Anmerkungen:
• "Eig. Drahtber." meint: "Eigene Drahtberichterstattung" also Nachrichten-Übermittlung per Telefon.
• Die Stadt in Deutschland/Nordrhein-Westfahlen hieß natürlich schon damals "Mülheim an der Ruhr" und nicht Müllheim.
 


15.09.2003 - Letzte Aktualisierung dieser Seite: 17.10.2006 - © edgar droste-orlowski

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