Lawinen im Lötschental

Wenn man als unvorbereiteter Sommergast ins Lötschental kommt, mag man sich wundern, dass es nur ein paar Orte gibt, an denen sich die Häuser drängen, während viele schöne Plätze im Tal vollkommen unbebaut sind oder es dort maximal ein paar Heuschober gibt.

Schuld ist der Winter.

Die Nutzung eines Raumes als Lebensraum setzt immer voraus, dass man mögliche Gefahren erkennt und lernt, mit diesen umzugehen. Während man im Küstenbereich z. B. mit Stürmen und Springfluten rechnen muss, sind die Bedrohungen im Gebirgsraum hauptsächlich Hochwasser, Steinschlag und Lawinen.

Die Naturgewalten haben schon immer das Leben im Lötschental stark bestimmt. So hatten die Schnee-Lawinen größten Einfluss auf die Besiedelung. Ließen sie doch den Bau von verhältnismäßig lawinensicher stehenden Bauwerken nur an ganz wenigen Stellen zu – im Tal dort, wo sich heute die Dörfer mit ihren sich aneinander drängenden Hütten und Häusern befinden.

Im Lawinenkataster für das Lötschental sind über 70 Lawinenzüge eingetragen. Das sind Hangbereiche, die häufig von grösseren Lawinenabgängen heimgesucht werden. Lawinen oder Lawinengefahr schnitten im Winter das Tal oft tage- oder gar wochenlang von der Außenwelt ab oder versperrten den Weg von einem Dorf ins nächste. Gefürchtet war vor allem die "Rotlaui", die berüchtigte Lawine von Goppenstein aus dem Roten Berg, die jeden Winter den Zugang blockierte und während des Baus des Lötschbergtunnels im Februar 1908 mehrere Menschenleben vernichtete. Aber nicht nur im Winter hatten die Lawinen Einfluss auf das Leben. Den Rest des Jahres musste man auch gemeinschaftlich nutzen, die Schäden zu beheben und die Gefahr im kommenden Winter durch geeignete Maßnahmen zu minimieren.

1951 kamen im zur Gemeinde Blatten gehörenden Weiler Eisten durch eine Lawine sechs Menschen, unter ihnen drei Kinder, ums Leben.

Heute gibt es im Lötschental unzählige Lawinenschutzbauten an den Berghängen, Straßenüberbauungen und Tunnel, um die Gefahr zu mindern. Beseitigt werden kann sie nicht.

Der Winter 1998/99 ging in der Geschichte als Jahrhundertwinter ein. Auch im Lötschental gingen unzählige Lawinen nieder. Diese forderten zwar kein Menschenleben, verursachten aber enorme Sachschäden an Gebäuden, Schutzwäldern und Kulturland. Die Strasse war verschüttet und über zehn Tage nicht mehr befahrbar, so dass Touristen und Talbewohner zum Teil ausgeflogen werden mussten.
Am 23. Februar 1999 wurde die Staumauer bei Ferden von der Faldumlawine getroffen. Die verantwortlichen Stellen sprachen von einem Ereignis unvorhersehbaren Ausmasses. Die geschätzte Schneemenge betrug 250-300.000 Kubikmeter. Sie zerstörte sämtliche Geländer, Zugangsstege und Messpfeiler im Bereich der Mauer

Faldumlawine / Staumauer Ferden Februar 1999 Faldumlawine / Staumauer Ferden Februar 1999 – Aufräumarbeiten

Abb. aus dem Bericht 5.24 102.2-R-123 Ferden WEL 1999 der Lombardi AG und KW Lötschen AG

Hier 4 Bilder, die ich im Juli 1999 – also im Sommer! – zwischen Fafleralp und Langgletscher aufgenommen habe. Sie lassen ein wenig die Gewalten ahnen, die hier Monate vorher wüteten. Die Lonza ist da, wo sie etwas tiefer liegt, – trotz anhaltend hoher Temperaturen – immer noch vollkommen von dicken Schnee- und Eismassen überdeckt. Oben auf diesen Lawinen-Resten liegen die Überreste eines Waldes. An vielen anderen Stellen im Lötschental hatten die Lawinen noch weitaus härter zugeschlagen.

Lawinenschaden im Lötschental Lawinenschaden im Lötschental Lawinenschaden im Lötschental Lawinenschaden
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Auch der Winter 2000/01 hat wieder allen vor Augen geführt wie mächtig und unbezwingbar die Natur hier ist. Trotz aller Bemühungen werden die Schäden viele Jahre sichtbar sein.

Jedes Jahr sterben in Europa im Durchschnitt etwa 200 Menschen durch Lawinen – die Hälfte davon allein in den (im Verhältnis zu anderen Lawinen-Regionen) dicht besiedelten Alpen.
 

Lawinen-Entstehung

Das Wort "Lawinen" hat seinen Ursprung in dem lateinischen "labi" (gleiten). Den selben Ursprung hat unser Wort "labil" (schwankend, veränderlich, unsicher).

Bevor man sich Lawinen erklären konnte, sah man Lawinen als Werk von Hexen und Geistern oder als Strafe Gottes an. Heute weiß man, dass es verschiedene Ursachen für die Entstehung von Lawinen gibt.

Die wichtigsten Einflüsse auf die Entstehung von Lawinen haben die Neigung des Berghanges, sein Oberflächenverlauf und seine Vegetationsdecke, die Mächtigkeit der Schneedecke sowie deren Zusammensetzung und Schichtung, Temperatur und Wind sowie die Temperaturunterschiede innerhalb der Schneedecke.

Ein typischer Lawinenhang hat etwa eine Neigung von 30 bis 50 Grad. Allerdings können Lawinen auch schon auf Hängen mit nur 10 Grad Gefälle entstehen.

Während früher Lawinen fast ausschließlich durch natürliche physikalische Ursachen entstanden, werden heute zunehmend Lawinen durch direkten menschlichen Einfluss (Ski- und Snowboardfahrer, aber auch Wanderer) ausgelöst. Auch Schallwellen können Lawinen verursachen.
 

Lawinen-Arten

Lawinen sind nicht einfach Lawinen. Wenn wir von Lawinen in den Alpen hören, denken wir wohl alle zuerst an Winter und Schnee und vergessen dabei, dass es ebenso Eis-, aber auch Geröll- und Schlamm-Lawinen gibt, die zu anderen Jahreszeiten auftreten können und nicht weniger verherend sein müssen (Brig, September 1993). Im allgemeinen sind aber Schnee-Lawinen gemeint, wenn einfach von Lawinen die Rede ist.

Schnee-Lawinen werden Unterschieden nach:
  Form des Anrisses (Schneebrett, Lockerschneelawine),
  Form der Lawinenbahn,
  Form der Bewegung (Fließ-, Staublawine),
  Lage der Gleitfläche (Ober-, Bodenlawine),
  Feuchtigkeit des Schnees (Trocken-, Nassschneelawine),
  Auslaufgebiet der Lawine (Hang-, Tallawine) sowie nach
  Art des Schadens
 

Lawinenprävention

Bei der Lawinen-Prävention steht das Verhindern der Entstehung von Lawinen vor weiteren Schutzbemühungen.

Schutz- oder Bannwald waren wohl das erste Mittel, das Menschen gegen Lawinengefahr einsetzten. Zwar kann ein Wald kaum einer ausgewachsenen Lawine den Weg versperren, er kann aber ihr Entstehen verhindern. Ein intakter Bergwald macht auch heute noch aufwendige Lawinenverbauungen unnötig, größere Lücken im Baumbestand und winterkahle Baumarten wie die Lärche vermindern die Wirkung des Waldes als Lawinenschutz.

Stützverbauungen wurden schon früh, vor allem oberhalb der Baumgrenze – dort, wo kein Bannwald wachsen kann – errichtet, indem man an den entsprechenden Berghängen durch das Aufschichten von Steinen mächtige Keilen schuf, die ein Abrutschen der Scheemaßen verhindern sollten. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts werden statt dieser Keile Stahl-Holz- und in neuerer Zeit – leichter zu transportierende und zu verarbeitende, aber die Landschaft im Sommer extrem verschandelnde – Alluminium-Konstruktionen in die Berghänge gebaut.

Stützverbauungen zum Lawinenschutz
Lawinenschutzverbauungen aus Stein und Metal am Niven oberhalb der Faldumalp

Brems- und Ablenk-Verbauungen werden dann errichtet, wenn im Lawinenentstehungsgebiet der Abgang der Lawine nicht verhindert werden kann. Hierbei kann es sich um Erdhügel oder -wälle handeln, aber auch um große Auffangbecken, die nach einem Lawinenniedergang unverzüglich ausgebaggert werden müssen, um ihre Funktionstüchtigkeit zu erhalten bzw. wiederherzustellen.

Andere Maßnahmen zum Schutz vor Lawinen sind z. B. der Bau von Tunneln und Straßen- bzw. Schinen-Überbauungen.
 

Weiterführende Links zum Thema Lawinen:

  Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF)
  Eidgenössisches Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft
  Planat.ch -> Naturgefahren/Lawinen
  Lawinen – Projektarbeit im Fach Geographie an der Kantonsschule Oerlikon


29.09.2003 - Letzte Aktualisierung dieser Seite: 05.08.2015 - © edgar droste-orlowski

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